Digitales Unterrichten: „Trotz Distanz ist Nähe entstanden“

10. November 2021

Prof. Dr. Franziska Müller

Während der Corona-Pandemie muss die Lehre an der Universität Hamburg ins Digitale verlegt werden. In einer Interviewreihe sprechen Dozierende über Herausforderungen, Lösungen – und Veränderungen, die auch nach der Pandemie bleiben könnten. Heute: Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Franziska Müller.

Wie haben Sie den plötzlichen Umstieg ins Digitale im Sommersemester 2020 erlebt?

Für mich kam das natürlich auch sehr plötzlich, zumal ich auch gerade erst meine Professur angetreten hatte. Ich hatte vorher eigentlich keine Erfahrung mit digitaler Lehre. So habe ich das gemacht, was eine Sozialwissenschaftlerin macht: lesen. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass Tipps vom Fernstudium nicht taugen, weil das nicht den Interessen und Situationen unserer Studierender entspricht, die ja nicht an einer Fernuni studieren wollten. Ich bin dann also komplett in einen Experimentiermodus gegangen.

Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Ich bin froh, dass synchrone Lehre an unserer Uni erlaubt geblieben ist und mache digitale aber kürzere Veranstaltungen. Dazu versuche ich, unterschiedliche Medien zu benutzen: Texte, Videos, Podcasts, Twitter oder auch Diskussionsforen. Ich finde außerdem das Konzept des „flipped classroom“ gut, bei dem viel Arbeit bereits im Vorhinein erledigt wird und die Sitzungen bei Zoom dann genutzt werden, um Fragen zu stellen, zu diskutieren oder zu vertiefen. Gern nutze ich auch Breakout-Sessions mit kleineren Gruppen, in denen wir Fallstudien bearbeiten. Außerdem arbeite ich mit kollaborativer Textverarbeitung. Dort wird gemeinsam digital an Texten gearbeitet. 

In den Sozialwissenschaften gehört eigentlich die einsame Auseinandersetzung mit einem Text zum Alltag. Aber aktuell befinden wir uns in einer Ausnahmesituation und da halte ich es für wichtig, dass die Studierenden Möglichkeiten haben, gemeinsam an etwas zu arbeiten.

Wie klappt es mit der Technik?

Ich kam mir am Anfang vor wie eine Software-Testerin. Aber das hat sich schnell eingespielt. Zunächst habe ich viel Zoom genutzt. Zu viel, weil ich dann gemerkt habe, wie ermüdend das sein kann. Dafür gibt es doch jetzt sogar den Begriff „digital fatigue“. Insgesamt haben wir das Privileg, dass wir an der Fakultät ein eigenes eLearning-Büro haben. Da konnten wir viele Fragen stellen und wurden nicht allein gelassen – auch in Sachen Technik. Ich finde es grundsätzlich sehr schön, dass wir uns an der Uni auch in der aktuellen Situation als lernende Organisation begreifen.

Was macht gute digitale Lehre für Sie aus?

Für die Vermittlung von Wissen ist es gut, mit kurzen knackigen Vorträgen zu arbeiten. Nicht lang und berieselnd, sondern sehr kurz und häppchenweise. Das ist gut für Faktenwissen oder theoretisches Wissen. Das mache ich mit kleinen Impulsen von fünf bis zehn Minuten. Danach wird viel Gruppenarbeit gemacht, bzw. an Lernportfolios gearbeitet. Außerdem hat gute Lehre – ob digital oder in Präsenz – viel mit der Lehrpersönlichkeit zu tun. Ich gebe mir sehr viel Mühe, dass meine Lehrinhalte an aktuelle konkrete Themen anknüpfen. Und ich hole mir mittlerweile noch mehr Rückmeldungen, frage Studierende nicht erst am Ende, was gut funktioniert, um Dinge rechtzeitig anpassen zu können.

Wie hat sich der Umgang mit den Studierenden verändert in diesen distanzierteren Zeiten?

Ich habe das Gefühl, dass mit manchen Studierenden trotz der Distanz auch eine größere Nähe entstanden ist. Es ist klar, dass das gerade eine Problemlage ist, die wir gemeinsam lösen müssen. Ich habe viele persönliche Geschichten und von vielen Schwierigkeiten gehört. Dieses Vertrauensverhältnis bedeutet mir viel. Deshalb wende mich auch noch mehr an die Studierenden und frage, was sie brauchen. Mehr Sensibilität für die Lebenslagen, mehr Flexibilität bei Abgabeterminen, das ist aktuell wichtig.

Was denken Sie wird bleiben, wenn die Lehre wieder in Präsenz möglich ist?

Ich finde es spannend, dass es eine extrem steile Lernkurve gegeben hat. Ich denke, dass es auch in Zukunft mehr hybride Formate geben wird und auch eine gesteigerte Offenheit für Innovationen. Was bleibt, ist hoffentlich auch noch mehr Verständnis für individuelle Lernwege, für unterschiedliche Geschwindigkeiten und für Fragen beruflicher und privater Vereinbarkeit. Ich wünsche mir, dass die Uni inklusiver wird und wir in Zukunft noch mehr darauf achten, in welchen Situationen sich die Studierenden und Lehrenden befinden. Sorge habe ich ein wenig, dass es eine Tendenz zur Lehre auf Knopfdruck geben könnte. Asynchrone Formate, mit Material, das recycelt wird – das würde mir Sorgen machen. Denn Lehre muss immer individuell sein.

Zur Person

Prof. Dr. Franziska Müller ist Juniorprofessorin für Globalisierung und Globale Klimapolitik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Energietransition, internationale Beziehungen im Anthropozän, Klima- und Energiegerechtigkeit, sowie postkoloniale Studien. Ihre digitalen Lehrveranstaltungen befassten sich mit den Themen globale Umweltgovernance, politische Ökologie, Entwicklungsökonomie und globale Klimagovernance.